Bei Römheld & Moelle haben wir im letzten Jahr große Fortschritte bei der Emissionsreduzierung gemacht. Hinter dem Erfolg steckt ein ziemlich kluger Kopf. Werksstudentin Eliane Tuchborn hat innerhalb kürzester Zeit unsere Nachhaltigkeitsabteilung aufgebaut, Initiativen priorisiert und einen Maßnahmenplan erstellt und losgetreten. Nach einem Jahr hat sie jetzt den Staffelstab weitergegeben. Vorher haben wir sie noch kurz zum Gespräch erwischt.
Römheld & Moelle: Frau Tuchborn, wie kommt man darauf, als Volkswirtschaftlerin ausgerechnet eine Eisengießerei zu dekarbonisieren?
Eliane Tuchborn: Es sah einfach nach einer spannenden Aufgabe aus. Es war ein ganz offener Auftrag, mit viel Potenzial. Es sollte etwas neu aufgebaut und zum ersten Mal systematisch angepackt werden.
Ursprünglich war der Job als „ein bisschen unterstützen“ beschrieben. Ich habe das aber erweitern können, und mich sozusagen breit gemacht. Ich durfte die treibende Kraft werden.
Das wusste ich natürlich vorher nicht, aber die Kombination aus innovativem Mittelständler, energieintensiver Produktion und der Gelegenheit mal etwas ganz anderes, nämlich Emissionen, zu bilanzieren, hat mich echt gereizt.
Ich wurde in meiner Arbeit von anderen Abteilungen unterschützt, hatte aber allein den Nachhaltigkeitshut auf, durfte schalten und walten, hatte viele Freiheiten, und durfte eigenverantwortlich meine Projekte entwickeln. Meine Ideen und Argumente wurden immer ernst genommen und viele davon auch umgesetzt.
R&M: Wo fängt man da überhaupt an?
ET: Meine anfängliche Aufgabenstellung war es, ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem zu etablieren. Bevor ich anfing, war schon eine Mitarbeiterumfrage zur Hot-Spot-Analyse gestartet worden, aus der 80-90 Mitarbeitervorschläge, hervorgingen, durch die ich mich durcharbeiten und als Anfangspunkt für ein Programm nehmen konnte.
R&M: Was haben Sie in dem Jahr gelernt?
ET: Ich habe viel über die Materie selbst und die Methodik gelernt. Wie bilanziert man CO
2, wie vermeidet man Doppelbilanzierung.
Das größte Learning für mich war, zu verstehen, wie die klassische mittelständische Industrie tickt. Die Nachhaltigkeitsabteilung ist direkt der Geschäftsführung angeschlossen. Die hat da nicht irgendeine Nebenrolle. Da hat man tolle Einblicke. Mir wurde viel Vertrauen entgegengebracht.
Ich habe aber auch viele Hürden kennengelernt, die so einem Unternehmen bei der nachhaltigen Transformation im Weg stehen. Auch welche, für die es nicht immer sofort eine Lösung gibt.
R&M: Wie würden Sie die Herangehensweise beschreiben, was prägt den Ansatz zur Nachhaltigkeit bei R&M?
ET: Der Ansatz ist fortschrittlich, ambitioniert, wissenschaftsfundiert. Der wissenschaftliche Ansatz ist zwangsläufig Teil der Unternehmenskultur. Das bedingt der Produktionsprozess. Das sind hier alles Techniker und Ingenieure, die arbeiten von Natur aus wissenschaftlich, faktenbasiert. Das ist auch das effizienteste.
Mir war das aus Gründen der Selbstkontrolle wichtig. Wenn man sich an internationalen Standards wie dem GHG-Protocol orientiert, hat man einfach eine sicherere Ausgangslage und eine andere Vergleichsbasis.
Meine Arbeit war mit langfristigem Blick konzipiert. Auch wenn wir noch gar nicht an die Standards gebunden sind, macht es Sinn, sie einzubeziehen, um dann zukunftssicher aufgestellt zu sein. Was auch immer an CO
2-Bilanzierungsstandards kommt, ist wahrscheinlich sehr nah am heutigen GHG-Protocol dran.
Allgemein würde ich zum Ansatz sagen, dass hier keiner Lust auf Prosa hat. Es geht allen um harte Zahlen. Die Arbeit ist sehr konkret, wir wollen damit etwas auf die Beine stellen, nicht Marketing betreiben.
R&M: Und viel geschafft haben Sie in dem Jahr auch. Wie ist es möglich in einem so energieintensiven Umfeld wie einer Gießerei Emissionen so drastisch zu senken?
ET: Da muss ich schon sagen, dass wir durch den Induktionsofen, das elektrische Schmelzen, eine geniale Ausgangsposition hatten. Wir konnten also durch die Umstellung auf Ökostrom mit einem Schlag viel erreichen. Vorher hatten wir pro Tonne Guss eine halbe Tonne CO
2. Jetzt ist das runter auf 60kg.
Unsere Nachbarn hier in Mainz schmelzen Glas, das geht nicht einfach mit Strom. Und viele Mitbewerber schmelzen noch mit Kohle, da hat man diesen Hebel nicht.
Ein anderer Vorteil ist, dass wir nur ein Produkt haben: Gusseisen. Andere Firmen müssen viel mehr differenzieren in ihren Prozessen und in den Emissionen, die anfallen. Für uns ist die Bilanzierung viel leichter.
R&M: Inwiefern?
ET: Ich kann den „Product Footprint“ über den „Corporate Footprint „ermitteln. Ganz vereinfacht gesagt, nimmt man den Gesamtfußabdruck der ganzen Firma und rechnet das einfach auf die Tonne guten Guss runter. Dadurch werden alle Emissionen abgedeckt (anders als wenn man das etwa auf die alternative Menge Flüssigeisen runterrechnet).
Guten Guss als Referenz zu verwenden heißt, dass zum Beispiel Ausschuss auch mit in den Fußabdruck einfließt. Alles, was auf dem Weg zur Tonne guten Gusses, der das Werk verlässt, beiträgt, wird einbezogen.
Intern schauen wir uns schon auch den Footprint des Flüssigeisens an, aber extern, für den Kunden, ist es wichtig, dass es keine Lücken in der Bilanz gibt, und tatsächlich der Gesamtfußabdruck abgebildet wird.
R&M: Sonst würden wir Verschwendung belohnen. Wenn wir viel Ausschuss haben, geht das in den Footprint rein.
ET: Genau, alle anfallenden Emissionen müssen verteilt werden. Deshalb haben wir es vergleichsweise einfach. Wir haben Tonnen CO
2-Emissionen und Tonnen guter Eisenguss. Bei verschiedenen Produkten müssten wir uns die Anteile genauer anschauen.
R&M: Die Nachhaltigkeitsstrategie bei R&M basiert auf dem Carbon Budget-Gedanken – was heißt das?
ET: Um 1.5ºC einzuhalten, hat die Welt ein Emissionsbudget, ein Maximum an globalen Emissionen. Sich ein Ziel zu setzen, „ab 2030 klimaneutral zu sein“ und bis dahin voll weiter zu emittieren, macht vor dem Hintergrund keinen Sinn. Dann überschießt man garantiert das „Budget“ und es ist zudem gnadenlos ineffizient.
Die Budgetdenke bedeutet, dass wir heute schon Maßnahmen einleiten und abarbeiten und das sukzessive machen. Es ist ineffizient, sich jetzt eine neue Gasheizung zu kaufen, und die dann in zehn Jahren abzuschalten, obwohl sie noch funktioniert.
Das ist die Perspektive des Unternehmens. Darauf richten sich die Ziele, die wir entwickeln, dass man einen klaren Pfad hat, Emissionen heute schon runterbringt und so das „Budget“ einhält.
R&M: Sehen Sie den Pfad zur Klimaneutralität bei R&M schon?
ET: Ja, wir haben unsere Emissionen gut aufgeschlüsselt nach Energieträgern, wir haben die Haupttreiber identifiziert und gehen die strukturiert in Projekten an. Investitionsentscheidungen, die anstehen, werden unter Einbeziehung des Carbon Footprints bewertet. Um zu schauen, was für Potenzial da drinsteckt.
R&M: Und was ist noch so drin?
ET: Wir sind jetzt bei 60kg CO
2 pro Tonne guter Guss. Aber es gibt eben noch produktionsbedingte Emissionsquellen, die man nicht abschalten kann. Das gibt es zwei: einmal das Styropor/EPS des Vollformgussverfahrens, das während des Abgießens einfach verbrennt. Da gibt es außer dem Sanddruck keine Alternative. Und man braucht Gas, um die Gießpfannen vorzuheizen, weil man mit Strom die Temperaturen nicht erreicht.
Nach dem heutigen Stand der Technik sehe ich Null Emissionen noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass diese Restquellen durch technischen Fortschritt gelöst werden können. Die Strategie ist, anzupacken, was jetzt machbar ist, und dann Innovationsenergie auf technische Lösungen für die Restemissionen zu richten.
Und da sehe ich R&M auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive als Vorreiter. Wir haben den
3D-Sanddruck als Verfahren, der es uns ermöglicht, vollständig auf EPS in der Produktion zu verzichten. Wir tragen also dazu bei, die Nachfrage zu liefern, um die Technik in dem Bereich weiter voranzutreiben und das noch effizienter zu machen, damit es sich für mehr Aufträge lohnt.
R&M: Was würden Sie anderen energieintensiven Unternehmen raten?
ET: Ganz klar: Macht Nachhaltigkeit in-house. Das ist so ein individuelles Thema. Selbst wenn man sich auf energieintensive Branchen beschränkt, ist es schwierig eine beratende Firma zu finden, die so sehr auf das eigene Unternehmen spezialisiert ist und so viel Knowhow hat, dass sie einem effizient zur Seite stehen kann.
Vor allem Mittelständlern würde ich empfehlen: Sucht Euch eine Person, ob Voll- oder Teilzeit, die den Hut aufhat und das in-house macht. Nur so kann man die individuellen Handlungsfelder und Probleme effizient bearbeiten.
Man steckt viel mehr im Produktionsprozess. Ich bin hier immer mal einfach durch die Produktion gelaufen, habe in einen Abfallcontainer reingeschaut, Fragen gestellt. Man versteht den Produktionsprozess ganz anders.
Und man muss zwangsläufig tief in der technischen Materie drin sein, um einen Unterschied zu machen. In einer Firma wie R&M passieren die klimarelevanten Emissionen im Produktionsprozess. Man braucht also jemanden, der in der Lage ist, sich mit den technischen Prozessen auseinanderzusetzen.
Manche Unternehmen haben Probleme mit Lösungsmitteln, manche haben Probleme mit Energie, und manche haben Probleme mit der Diversität. Da braucht man einfach jemanden, der das individuell regelt. Nachhaltigkeitsthemen kann man nicht über einen Kamm scheren. Die sind superindividuell.
R&M: Frau Tuchborn, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei der Master-Arbeit.